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Mehr Sachlichkeit, weniger Alarmismus

Bundesgesundheitsministerium beantwortet Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion.

In der Berliner Politik wurde in den letzten Monaten eine breite Debatte um MVZ-Gruppen angestoßen. Geprägt war diese von oft weitrechenden, aber zumeist oberflächlichen Vorwürfen. Nach deutlicher Positionierung des Deutschen Hausärzteverbandes und der Bundesärztekammer wurde in der letzten Woche die Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu den „Auswirkungen investorengetragener Medizinischer Versorgungszentren“ veröffentlicht.

Das Bundesministerium für Gesundheit liefert mit seiner Antwort (Drucksache 20/5166) Klarheit über die vorliegende Evidenz bei der Entwicklung von MVZ mit privaten Kapitalpartnern. Dabei liefert das BMG neben den Antworten auf die Fragen der Opposition auch eine umfangreiche Anlage mit. Diese enthält die wesentlichen Erkenntnisse der vorliegenden MVZ-Gutachten, sowie weitergehende Handlungsempfehlungen.

 

Keine Versorgungsgefahr durch MVZ-Gruppen

Die wichtigste Erkenntnis aus der BMG-Antwort ist, dass dem Ministerium keine Erkenntnisse für eine Versorgungsgefährdung durch die Entwicklung medizinischer Versorgungszentren vorliegen. Die Antwort verweist dabei zusätzlich auf den Anhang und der Übersicht der vorliegenden Gutachten.

Schaut man sich die entsprechende Fundstelle im Anhang (Anhang S. 9-11) an, stellt man fest, dass dort nur vereinzelt in zwei Gutachten im Auftrag der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) eine Gefährdung der Versorgung angenommen wird. Wie das BMG weiter feststellt „werden [überwiegend] nachweisbare negative Zusammenhänge zwischen Inhaberschaft und Versorgungsqualität in investorenbetriebenen MVZ […] verneint“.

Noch deutlicher wird das Ministerium im Antworttext auf Frage 14. Dort wird die Bundesregierung gefragt, ob ihr Hinweise auf eine Kompromittierung der Stellung der ärztlichen Leitung bekannt sind.

 

Die klare Antwort des BMG: Es liegen keine Erkenntnisse vor, „dass ärztliche Leiterinnen und Leiter [der gesetzlich ausdrücklich zugeschriebenen Schutzfunktion zur Abschirmung der ärztlichen Behandlungstätigkeit vor sachfremder Einflussnahme] in investorenbetrieben MVZ unzureichend erfüllen.“ (S. 7). Bemerkenswert ist, dass diese Tonalität sich deutlich von den Aussagen Ihres Ministers, die er noch in seinem BILD-Weihnachtsinterview getätigt hat, unterscheidet. Dort hatte Prof. Dr. Karl Lauterbach investorengestützten MVZ „unnütze Behandlungen in schlechter Qualität, um absurde Profitziele zu erreichen“ unterstellt und in einem Tweet am vom 25. Dezember 2022 noch das letzte schöne Weihnachten für die Betreiber angekündigt.

 

Regionale Verteilung von MVZ unbedenklich

Die Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fragen auch nach Erkenntnissen zur regionalen Verteilung von MVZ mit Kapitalpartnern im Vergleich zu Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften (BAG). Das BMG unterscheidet anhand der vorliegenden Gutachten zwischen der bundesweiten Betrachtung in der Zahnmedizin und der spezifisch nur für Bayern erhobenen Daten in der ärztlichen Versorgung.

 

Letztere „weisen [MVZ] mit 52 Prozent den höchsten Fallanteil in ländlichen Kreistypen auf (gegenüber Einzelpraxen mit 50,3 Prozent und Berufsausübungsgemeinschaften mit 50,9 Prozent)“ (Antwort S. 4). Eine nach Inhaberschaft der MVZ geclusterte Analyse liegt nicht vor, eine unsachgemäße Konzentration von [MVZ mit Kapitalpartnern] auf „bestimmte Regionstypen wird teilweise ausdrücklich verneint“ (Anhang S. 5).

 

Auch mit Blick auf die Frage nach regionalen Konzentrationen, können diese nach Antwort des BMG nicht festgestellt werden (Antwort S. 5). Dabei stellt das Ministerium fest, dass „mit Blick auf die vertragsärztliche und vertragszahnärztliche Versorgung wird abschließend darauf hingewiesen, dass lokal oder regional verengte Angebotsstrukturen eine zwangsläufige Folge der gesetzlich vorgesehenen Zulassungsbeschränkungen sein können. Sieht etwa die Bedarfsplanung in einem bestimmten Planungsbereich lediglich eine geringe Anzahl von Arztstellen für die Versorgung der Versicherten im Planungsbereich vor, so führt deren vollständige oder teilweise Besetzung zwangsläufig zu einer reduzierten Angebotsvielfalt. In diesen Fällen kann sich die Konzentration von Arztstellen bei einer Praxisinhaberin oder einem Praxisinhaber als systembedingte Folge der bedarfsplanerischen Versorgungssteuerung darstellen“ (Antwort S. 5). Aus Sicht des BMG muss darüber hinaus die Vermeidung marktbeherrschender Angebotsstrukturen primär durch das Kartellrecht sichergestellt werden und nicht – so der implizite Umkehrschluss – durch das Sozialgesetzbuch Fünf (Antwort S. 5).

 

Zielrichtung: weitere Regulierungsschritte

Dennoch stellt das BMG in mehreren Antworten fest, dass es beabsichtigt, einen Vorschlag zur weiteren Regulierung von MVZ zu erarbeiten. Dies zeigt deutlich die Stoßrichtung und den Auftrag der Hausspitze, mit dem sich die Fachebene nun trotz fehlender Evidenz für einen konkreten Handlungsbedarf, auseinandersetzen muss. Es verwundert daher nicht, dass die  Antwort auf diese Frage allgemein ausfällt und lediglich der Hinweis gegeben wird, dass die „nähere Ausgestaltung des Regelungsvorschlags […] derzeit geprüft“ werden muss.

 

Und so wird das BMG bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage nur bei dem Thema Transparenz konkreter. Hier teile man „das Anliegen, die Transparenz über die Organisationsstrukturen von MVZ in dem für eine ausreichende Patienteninformation und eine zielgenaue Versorgungssteuerung erforderlichen Umfang herzustellen“ (Antwort S. 6).

 

Grenzen und Notwendigkeit einer weiteren Regulierung

Hintergrund der Zurückhaltung an dieser Stelle dürften die rechtlichen Hürden und die Frage der Notwendigkeit einer weiteren Regulierung darstellen (zu den rechtlichen Hürden siehe auch Pro. Dr. Prütting 2022, Dr. Rau 2022). Weitere Einschränkungen müssten zunächst verfassungsrechtlich geprüft werden, da „beschränkende Maßnahme auf der Ebene der Marktzugangsebene oder der Betriebsebene regelmäßig als Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darstellen“ (Anhang S. 12), fasst das BMG die vorliegenden Gutachten zusammen.

 

Zwar sei die Regulierungen zum Schutz vor einer „sachfremden Beeinflussung ärztlicher Behandlungstätigkeit im MVZ“ ein legitimer Zweck, der auch solche Eingriffe rechtfertigen könne. Allerdings muss der Gesetzgeber „etwaige Gefahrenprognosen aber jedenfalls auf der Grundlage realitätsgerecht erkennbarer Risiken treffen. Ein bloßes Herbeireden von Gefahren insbesondere durch Interessenvertreter erfülle diese Voraussetzung nicht.“ (Anhang S. 12). Gerade die Evidenz einer solche Gefahrenprognose fehlt aber, wie das BMG selbst gegenüber den Fragestellern in Antwort 14 (siehe oben) deutlich macht.

 

Der Gesetzgeber sei darüber hinaus verpflichtet, „eine frühere Gefahrenprognose und die auf dieser Grundlage vorgenommenen Einschränkungen verfassungskonform anzupassen, soweit dies aufgrund einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse oder einer Veränderung der Erkenntnislage erforderlich ist. Schließlich könne der Gesetzgeber wegen des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe wesentlich anders behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.“ (Anhang S. 12).

 

Damit wird verklausuliert der Vergleich zum stationären Bereich gezogen. Dort existieren heute zahlreiche private Krankenhausgruppen, die ebenfalls mit Kapitalpartnern an der stationären Versorgung teilnehmen. Die Regularien sind im Vergleich zum ambulanten Bereich und insbesondere mit Blick auf den Rechtsrahmen für MVZ sehr ungleich.

 

Die zahlreichen, bereits existierenden rechtlichen Einschränkungen für MVZ (Rechtsform, Gründerkreis, Versorgungshöchstquoten im zahnmedizinischen Bereich, sowie fachliche Einschränkungen bei nichtärztlichen Dialyseleistungserbringern) werden von den Expertinnen und Experten in gleicher Form kritisiert, wie auch das Ministerium feststellt (Anhang S. 11-16).

 

Was bleibt?

Die Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zeigt auf, welche Daten- und Faktengrundlage dem Ministerium vorliegen. Es wird deutlich, dass die anhaltende Diskussion über Inhaber- und Trägerschaft nie geeignet war, um als Maßstab zur Messung von Versorgungsqualität zu dienen.

 

Es muss auf dieser Grundlage überraschen, wenn sich der Bundesgesundheitsminister entgegen der fehlenden Evidenz zu weiteren einschränkenden Regulierungsschritten entscheiden würde. Insbesondere die Übersicht weiterer Regulierungsvorschläge in der Anlage (S. 21-24) macht deutlich, dass diese in den Augen der meisten Expertinnen und Experten rechtlich fragwürdig sind und sogar negative Effekte auf die Versorgung erwarten lassen.

 

Zielgerichtete Maßnahmen, so die übereinstimmende Meinung der vorliegenden Gutachten, sind in dem Bereich der Strukturtransparenz zu finden.

 

Insofern stellt sich die Frage, was aus der bisherigen Debatte der reflexhaften Ablehnung von Verän­de­­rungen auf Seiten der Kritikerinnen und Kritiker von MVZ-Gruppen geschuldet, und wie viel Besorgnis bezüglich der Folgen für die Patientenversorgung wirklich berechtigt ist.