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Umbruch der ambulanten Versorgung

Unter dem Titel „Umbruch in der ambulanten Versorgung – neue Herausforderungen und neue Versorgungsformen“ stand das erste Podium der Diskussionsveranstaltung des Bundesverbands der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV) e.V. am 24. Mai 2023 in Berlin.

Die Stoßrichtung der Diskussion legte Frank Dastych, Vorsitzender der Kassenärztliche Vereinigung Hessen mit seiner Aussage „Der Lustgewinn an der Tätigkeit in der eigenen Praxis hält sich zunehmend in Grenzen“ direkt zu Beginn für die für die weiteren Mitdiskutanten - Dirk-Ulrich Mende, MdB (Berichterstatter für ambulante Versorgung der SPD-Bundestagsfraktion),  Prof. Dr. Beate Jochimsen (HWR Berlin), Prof. Dr. Günter Neubauer (Institut für Gesundheitsökonomik) und Dr. Kaweh Schayan-Araghi (Gründer und ärztlicher Leiter Artemis Augenkliniken und MVZ und 1. Stellv. Vorsitzender BBMV) - vor.

 

Bereits 2013 warb die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) auf Plakaten mit der Tätigkeitvielfalt von selbstständigen Ärzten. „Der selbstständige Arzt ist nicht nur Arzt, sondern auch Unternehmer, Manager, Buchhalter, Personaler, Controller, Vorarbeiter und Hausmeister“ so die Botschaft. Aber auch die bürokratischen Aufgaben sind seitdem deutlich größer geworden. Das zeigt: der Wandel des ärztlichen Berufsbildes ist kein aktuelles Phänomen. Die ambulante Versorgung in Deutschland wird immer weniger von dem selbstständigen Arzt in der Einzel- oder Gemeinschaftspraxis geprägt. Neue Versorgungsformen wie Medizinische Versorgungszentren (MVZ) nehmen einen immer größer werdenden Stellenwert ein. 

„In keinem anderen Bereich wird so viel Arbeitszeit in Bürokratisierung gebunden wie im Gesundheitsbereich.

Das ist Zeit, die nicht zur Wertschöpfung beitragen kann.“

 

Prof. Dr. Günter Neubauer

Institut für Gesundheitsökonomik, München


Jüngere Ärztinnen und Ärzte rücken das „Arztsein“, die medizinische Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten, in den Fokus und wollen sich von den bürokratischen und finanziellen Belastungen der Selbstständigkeit freimachen. „Wir erleben ein deutliches Absinken der ärztlichen Arbeitszeit. Die Schere der Versorgung geht aufgrund von demographischen Entwicklungen massiv auseinander,“ betonte Dr. Kaweh Schayan-Araghi, Erster Stellv. Vorsitzender des BBMV in diesem Zusammenhang. Dabei spielen geregelte Arbeitszeiten, die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit ebenso eine Rolle, wie der Wunsch zur Arbeit im Team und des fachlichen Austauschs mit Kolleginnen und Kollegen. 

Behandlungsqualität und Sicherstellungsauftrag als Bewertungskriterien

Prof. Dr. Beate Jochimsen, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der HWR Berlin und Co-Autorin des Gutachtens zum „Stand und Weiterentwicklung Medizinischer Versorgungszentren“ im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums, weitete den Blick auf die Aufgaben und Kriterien, die an die ambulante Versorgung in Zukunft angelegt werden sollten: „An oberster Stelle der Gesundheitsökonomie steht das Patientenwohl. Der wichtigste Vorteil für Patienten ist sicher eine bessere Diagnostik und Behandlung von komplexen Krankheitsbildern, wenn in MVZ verschiedene Fachärzte zusammenarbeiten. So können auch die therapeutischen Maßnahmen besser aufeinander abgestimmt werden. Prophylaxe, Diagnose, Behandlung und Therapie erfolgen dann zwar nicht aus einer Hand, aber immerhin unter einem Dach.“

"An oberster Stelle der Gesundheitsökonomie steht das Patientenwohl. Der wichtigste Vorteil für Patienten ist sicher eine bessere Diagnostik und Behandlung von komplexen Krankheitsbildern, wenn in MVZ verschiedene Fachärzte zusammenarbeiten."

 

Prof. Dr. Beate Jochimsen

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin


Heute bietet die Tätigkeit im ambulanten Sektor viele Berufsperspektiven und Gestaltungsmöglichkeiten. Eine Tätigkeit als angestellter Arzt in einem MVZ, mit planbaren Arbeitszeiten und einem festen risikofreien Einkommen, ist auch vereinbar mit dem Selbstverständnis als Freiberufler. Aus diesen Entwicklungen werden in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit Veränderungen der Angebotsstruktur, auch in der medizinischen Versorgung in ländlichen Regionen resultieren. Bereits im Rahmen der letztjährigen Veranstaltung des BBMV wies Frank Dastych in diesem Zusammenhang darauf hin, dass deshalb heute die Rolle von Investitionen und Kapital zwangsläufig eine andere und demzufolge auch wichtiger für den Sicherstellungsauftrag und die Versorgungsstrukturen ist. Die aktuelle Diskussion über MVZ führt laut Dastych am Ziel vorbei. Er bekräftigte deshalb seine Forderungen nach einer konstruktiven Debatte; „Wir sollten mehr über die Erfüllung des Versorgungsauftrages sprechen.“ Die vom Bundesgesundheitsministerium angekündigte Erhöhung der Medizinstudierenden seien zudem weder eine kurzfristige noch eine mittelfristige Lösung, da diese frühestens in 12-14 Jahren auf Rahmenbedingungen im Versorgungssystem aufschlagen würden, die heute noch nicht abzuschätzen seien. 

Chancen von MVZ für die ambulante Versorgung

Nach Ansicht der Diskussionsteilnehmer können die Lösungen für diese negativen gesellschaftlichen Trends nur in einer generellen Produktivitätssteigerung im Gesundheitssystem liegen. Den demografischen Herausforderungen können nur mit einer Ökonomisierung von Strukturen und Arbeitsabläufen begegnet werden. Wie Prof. Dr. Günter Neubauer beschreibt, führt die Erkenntnis der Gesundheitsökonomie, dass „Ökonomisierung immer zur Produktivitätssteigerung führt“ zwangsläufig nicht an der Entwicklung von Medizinischen Versorgungsformen vorbei. Denn MVZ können ein innovatives Potential bereitstellen, das viele Antworten auf die aktuellen Fragen geben könne und zu vielen Chancen führe.

 

Doch angesichts dieser rasanten Entwicklungen, werden die innovativen Anforderungen auch nicht bei MVZ haltmachen. Wie Prof. Dr. Neubauer an einem Beispiel skizzierte: „50 % der Medizinischen Leistungen werden in Zukunft telemedizinisch erbracht. Das MVZ ist heute die beste Antwort, aber wenn sie sich nicht an die Gegebenheiten anpassen werden auch diese Strukturen überholt sein.“. Gerade unter diesem Aspekt sind innovative Versorgungformen, aber auch private Investitionen in die ambulante Versorgung und MVZ-Strukturen unverzichtbar. 


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