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„Heuschrecken sind eher Teil der Lösung“

Über die Zukunftsperspektiven der ambulanten Versorgung und die Rolle Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) diskutierten Vertreter von Kassenärztlichen Vereinigungen, Wissenschaft und Verbände im Rahmen des Hauptstadtkongresses. Zur Diskussion hatten der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV) gemeinsam mit den Akkreditierten Laboren in der Medizin (ALM) eingeladen. 

Berlin, 15. Juni 2023 | Über die Rolle Medizinischer Versorgungszentren wird 20 Jahre nach deren Einführung weiterhin gestritten. Derzeit sind vor allem haus- und fachärztliche MVZ-Gruppen mit privaten nichtärztlichen Kapitalgebern im Fokus der Kritik.

 

„Mehr miteinander, statt übereinander – oder an einander vorbei zu reden“ sei in der Debatte entscheidend, so Dr. Michael Müller, Vorstandsvorsitzender des ALM e.V. in seiner Eröffnung.

 

Nicht alle Kritikerinnen und Kritiker von MVZ-Gruppen würden sich einer Debatte stellen, so Müller. Für die Diskussion war die Teilnahme von Frank Dastych, Vorsitzender der KV Hessen und von Martin Degenhardt, Leiter Politik bei der KV Bayerns daher sehr bereichernd.

 

Sibylle Stauch-Eckmann, Vorsitzende des BBMV, stellte die Frage in den Raum, ob die Diskussion um MVZ-Gruppen nicht aus Wettbewerbsangst entspringe. MVZ-Gruppen seien – unabhängig der Inhaber- oder Trägerschaft – leistungsfähige und innovative Versorgungsformen.

 

„Wir brauchen jede Versorgungsform im System – wichtiger noch: wir müssen noch mehr Versorgungsformen und Kooperationsmöglichkeiten ermöglichen. Gerade mit Blick auf MVZ dreht sich die politische Diskussion aber um weitere Einschränkungen und Verbote“, so Stauch-Eckmann unter Verweis auf einen Entschließungsantrag der Länder Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, der am Freitag, den 16. Juni 2023 vom Bundesrat verabschiedet wurde. Von der Politik erwartet die BBMV-Vorsitzende eine sachliche und evidenzbasierte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen in der ambulanten Versorgung und der Rolle von MVZ ungeachtet der Trägerschaft. 

Durch Fachkräftemangel, Ambulantisierung und Digitalisierung wird der Kapitalbedarf in der ambulanten Versorgung weiter stark wachsen, so Prof. Dr. Frank-Ulrich Fricke, Gesundheitsökonom an der TH Nürnberg. Private Kapitalgeber, die in die Versorgung investieren, seien daher dringend notwendig. Die Kapitalgeber – häufig in der politischen Debatte als sogenannten „Heuschrecken“ verschrien - seien daher Teil der Lösung.

 

„Kein Mensch will Investoren verbieten“, betonte Martin Degenhardt; „sehr wohl jedoch regulieren und in einen gewissen Rahmen führen“. Widerspruch über diese Einschätzung kam von der BBMV-Vorsitzenden: Dazu zielten die Forderungen und Vorschläge, sowohl der KV Bayerns, aber auch anderer Kritiker aus Ärzteschaft und Politik zu häufig auf ein de facto Verbot von MVZ-Gruppen mit nichtärztlicher Kapitalbeteiligung ab.

 

Auch der Vorsitzende der KV-Hessen widersprach den Verbotsforderungen. Natürlich habe er mit seiner Praxis auch Geld verdienen wollen. Eine Eigenkapitalrendite sei das normalste der Welt, so Frank Dastych. „Gesundheitsversorgung kostet Geld und das Geld, das aus der Gesetzlichen Krankenversicherung kommt, reicht hinten und vorne nicht aus. Hier muss dann auch Kapital eingesetzt werden.“, stellte er klar. Wenn man daran etwas ändern wolle, dann müsse man die Kosten „entökonomisieren“ – so der KV Hessen Vorsitzende mit Blick auf die von Bundesgesundheitsminister Lauterbach losgetretene Diskussion.

 

Entscheidend sei das Geschäftsmodell, betonte Dastych. Rosinenpickerei, Leistungseinschränkungen und nicht erforderliche Leistungen müssten unabhängig der Trägerschaft ausgeschlossen werden.

 

Diesen Punkt unterstrich Dr. Michael Müller, Vorsitzender des ALM ebenfalls: „Bei allen geplanten Gesetzesvorhaben sollte das Wohl der Patientinnen und Patienten im Vordergrund stehen. Daher ist es zunächst richtig und erforderlich, die Transparenz bezüglich der Inhaberschaft aller Versorgungsstrukturen zu verbessern und auf dieser Grundlage die bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Überprüfung des Versorgungsauftrages, der Abrechnung und insbesondere der Qualität der Versorgung zu konkretisieren. Dadurch können die schon jetzt erhobenen Daten umfassender ausgewertet werden. Es ist festzuhalten, dass auch die vorgeschriebenen Qualitäts- und Jahresberichte der ärztlichen Selbstverwaltung keine Hinweise auf negative Einflüsse auf die Versorgungsqualität durch eine nichtärztliche Inhaberschaft von MVZ enthalten.“

 

Die fehlende Evidenz bestätigte Frank Dastych. In Hessen habe er versucht die Ergebnisse des IGES-Gutachtens im Auftrag der KV Bayern zu reproduzieren. „Da tun wir uns mit unseren Daten sehr schwer, die viel propagierten Unterschiede zwischen den Investorenstrukturen zu plausibilisieren“, so Dastych diplomatisch.