Mit der Ankündigung einer starken Regulierung nicht-ärztlicher Kapitalgeber für Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und populistischer Äußerungen zu diesen MVZ-Gruppen hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in den vergangenen Monaten eine alte Debatte neu befeuert. Auch Medienberichte zeichnen in letzter Zeit ein verzerrtes Bild von MVZ: Entgegen anderslautender Behauptungen führt die Beteiligung von nichtärztlichen Kapitalgebern an Medizinischen Versorgungszentrenten (MVZ) nicht zu einer schlechteren oder teureren ambulanten Versorgung von Patientinnen und Patienten. Außerdem liegen keine Hinweise vor, dass ärztliche Entscheidungen in MVZ durch Träger beeinflusst würden. Die zurzeit debattierten Einschränkungen oder Regulierungen von MVZ sind zudem aus verfassungs- und europarechtlicher Sicht höchst fragwürdig. Das sind die Kernergebnisse des Experten-Memorandums „Die Rolle von MVZ in der ambulanten medizinischen Versorgung – besteht regulatorischer Handlungsbedarf?“. Es wurde auf Initiative des Bundesverbands der Betreiber Medizinischer Versorgungszentren e.V. (BBMV) und des Verbands Akkreditierte Labore in der Medizin e.V. (ALM) von den Autoren Prof. Dr. Frank-Ulrich Fricke, Werner Köhler und Dr. Stephan Rau Mitte Februar vorgestellt.
Kein Zusammenhang zwischen Versorgungsqualität und der Inhaber- oder Trägerschaft
Das Memorandum zeige eindeutig, dass es keinen Zusammenhang zwischen der in MVZ geleisteten Versorgung von Patientinnen und Patienten und der Inhaber- oder Trägerschaft eines MVZ gebe, sagte Sibylle Stauch-Eckmann, Vorsitzende des BBMV. „Träger- und Inhaberschaft sind keine geeigneten Kriterien für gesetzliche Regelungen“, so Stauch-Eckmann. Angesichts der Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die vor allem die nicht-ärztliche Kapitalbeteiligungen an MVZ gesetzlich stark zu regulieren, warnte sie vor Gefahren für die ambulante medizinische Versorgung.
Sibylle Stauch-Eckmann, Vorsitzende BBMV e.V.
Dem stimmte Dr. Michael Müller, Vorsitzender des ALM, zu: „Ein qualitätsorientierter Wettbewerb in der medizinischen Versorgung braucht keine weiteren Beschränkungen in der Gründung von MVZ.“ Denn „negative Zusammenhänge“ zwischen Versorgungsqualität und Träger- beziehungsweise Inhaberschaft seien schlicht nicht feststellbar. Wie das Memorandum darlegt, könnten Forderungen nach weiteren Beschränkungen unter anderem dazu führen, dass es insbesondere in ländlichen Gebieten weniger attraktive Angebote für Ärztinnen und Ärzte gebe, im ambulanten Bereich tätig zu sein. Darüber hinaus könne das Investitionsvolumen im ambulanten Bereich sinken.
Uns kommt es darauf an, einen sachbezogenen Beitrag in diese Diskussion zu bringen.
Michael Müller, Vorsitzender des ALM
Begrenzung aus europarechtlicher Perspektive zumindest fragwürdig
Einige diskutierte Maßnahmen zur Begrenzung von MVZ-Gründungen seien sowohl aus verfassungs- als auch aus europarechtlicher Perspektive zumindest fragwürdig, sagte Dr. Stephan Rau. Ausschlüsse bei der Gründungsbefugnis seien nur mit gewichtigen Argumenten rechtssicher umsetzbar – es sei aber „keinerlei Grund erkennbar, der den Ausschluss von Investoren rechtfertigen würde“. Stephan Rau unterstrich, dass solche Beschränkungen ein zu gravierender Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Artikel 12 GG) seien. Sie seien nur anhand konkret nachgewiesener Gefährdungen der Versorgungsqualität durch die adressierten Klinik-MVZ zu rechtfertigen. Derartige Belege fehlten aus seiner Sicht bis dato jedoch völlig. Ohnehin fände man bereits für alle der gemachten Vorwürfe – wie Leistungsausweitungen durch überflüssige Behandlungen – Verfolgungsmöglichkeiten im Strafrecht, so Stephan Rau.
Ich erwarte, dass das Gesetz [der Bundesregierung] verfassungskonform ist. [...] Damit scheiden Regelungen, dass ein Krankenhaus nur ein MVZ halten darf, dass in örtlicher Nähe ist und gleichen Fachbezug hat, schon mal aus.
Dr. Stephan Rau
Auch die Diskussionen über etwaige Monopoltendenzen seien angesichts des aktuellen Verbreitungsgrades von MVZ-Gruppen verfrüht: Die Zahlen zeigten, dass maximal ein einstelliger prozentualer Anstieg auf Absolutniveau vorhanden sei. Man könne deshalb kaum vom Untergang der Versorgung sprechen, sagte Werner Köhler.
Eine Monopolbildung [beim MVZ] kann ich bei Weitem nicht erkennen.
Werner Köhler
Dazu komme, dass andere Strukturen wie beispielsweise die Einzelpraxen ohnehin gegenüber MVZ bevorteilt würden. Grundsätzlich gelte: An einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) etwas vorbei zu etablieren, sei nicht möglich. Im Krankenhaus gebe es die Investoren schon sehr lange, dort störe sich niemand daran, kritisierte Köhler. Das eine beklage man, das andere nehme man hin. Prof. Frank-Ulrich Fricke wies außerdem auf den hohen Investitionsbedarf in der ambulanten Versorgung hin, beispielsweise durch die Digitalisierung. Auch hierfür sei mehr Kapital nötig.
Konstruktive Lösungen
Die Autoren des Memorandums machen einige Reformvorschläge. Werner Köhler sprach sich gegen Beschränkungen für MVZ aus: Es wäre viel sinnvoller, „dass wir wieder zu einer Öffnung der Gründungsmöglichkeiten kommen.“ Zu unterstützen sei der Vorschlag des Verbands der Ersatzkassen (vdek), Kapitalgesellschaften mit Steuersitz in der Europäischen Union unter klaren Voraussetzungen und Regelungen direkt die Möglichkeit einzuräumen, ein MVZ aufzubauen oder sich an einem solchen zu beteiligen.
Es würde helfen, mehr Fakten in die Diskussion zu bringen.
Prof. Frank-Ulrich Fricke
Prof. Fricke ging auch auf die Diskussion um ein Transparenzregister ein, wie es unter anderem die Bundesärztekammer (BÄK) fordert. Dies sei ein konstruktiver Vorschlag, um an eine fundierte Datengrundlage zu kommen. Die BBMV-Vorsitzende Stauch-Eckmann betonte ausdrücklich, dass sich niemand gegen mehr Transparenz sperre. Die BBMV-Vorsitzende Stauch-Eckmann kritisierte an der derzeit geführten Diskussion über MVZ, dass dabei die „wirklich wichtige Frage“ aus dem Blick gerate, wie in Deutschland auch in Zukunft „eine gute und wohnortnahe Gesundheitsversorgung“ sichergestellt werden könne. „Ich bin mir sicher, dass MVZ-Gruppen hier ein wichtiger Teil der Lösung sind“, so Stauch-Eckmann.
Die Autoren des Memorandums:
- Prof. Dr. Frank-Ulrich Fricke ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Technischen Hochschule Nürnberg
- Werner Köhler war langjähriger Leitender Verwaltungsdirektor der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Franken und Oberbayern in München und Mitglied in verschiedenen Gremien der Gemeinsamen Selbstverwaltung, u. a. Vorsitzender des Zulassungsausschusses Oberbayern und Richter am Sozialgericht München
- Dr. Stephan Rau ist Rechtsanwalt in München und spezialisiert auf Transaktionen im Gesundheitswesen
Das Memorandum zum Download finden Sie hier